Ausstellung "Schwarzwaldhochstraße"

Kunsthalle Baden-Baden 30.06 - 01.09.2002

Katalogtext von Margrit Brehm

 

Patricia Waller

Beginnen wir mit etwas Leichtem. Skulpturen sind meistens schwer. Sei es Holz oder Bronze, Stein oder Stahl – plastische Arbeiten brauchen Platz. Sie erfordern einen Raum zum Arbeiten und die Anwesenheit des/der Arbeitenden vor Ort. Sie erfordern Muskelkraft oder technische Hilfsmittel, um sie zu bewegen und dann brauchen sie noch mehr Raum, um sie angemessen zu präsentieren oder zu lagern. Das ist ein Grund, warum Patricia Waller sich entschieden hat, ihre Objekte zu häkeln. Ein Knäuel Wolle und eine Häkelnadel passen in jede Tasche. Wo immer sie ist, ist ihr Arbeitsplatz, kann sie das Begonnene weiterführen. Sie braucht keine Hilfe. Sie ist autonom. Ein anderer Grund ist das Material. Schon während ihres Studiums, das sie teils durch die Umstände, teils durch eigene Entscheidungen bestimmt, bei Hajek und Pokorny, aber auch bei Fritsch, Wagner und Klingelhöller absolvierte, hat sich die Künstlerin mit den Problem von Körper und Farbe auseinandergesetzt. Ihre aus Gips aufgebauten Plastiken faßte sie farbig, empfand aber gleichzeitig die "Übermalung" des formgebenden Materials als partielle Negierung von dessen Eigenschaften. Garn ist Material und Farbe in einem. Form entsteht aus Farbmaterial. Der Prozess der Entstehung ist an jedem Teil ablesbar, nichts wird verborgen.

Der dritte und wohl wichtigste Grund für die "Needleworks" Patricia Wallers aber liegt nicht auf einer funktionalen oder formalen Ebene, sondern ist durch die Auseinandersetzungen mit der "männlich" geprägten Sprache der traditionellen Bildhauerei bestimmt: Dominante Zeichen werden gesetzt, ein Anspruch formuliert. Der Schwere und dem Eigenwert des Materials entspricht der Wille zur handwerklichen Perfektion und beides findet eine Parallele in der Neigung zur Ernsthaftigkeit. Warum, fragt Patricia Waller, wird Handwerk (craftmanship) höher bewertet als Handarbeit (needlework)? Warum werden Humor oder Ironie besonders in der Bildhauerei/Objektkunst immer noch (also selbst nach Fischli & Weiss, Michael Kelly, u.v.a) als Zeichen von Unernsthaftigkeit mißverstanden? Die Fragen an die Kunst und ihre Wahrnehmung, die Patricia Waller beschäftigen, sind durch die zahlreichen Werkserien, die die Künstlerin in den letzten Jahren realisiert hat, nicht weniger geworden, aber immer gezielter, setzt sie ihre künstlerischen Strategien ein, um mit leichter Hand Arrangements zu schaffen, deren subversive Kraft und hintergründige Ironie sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Zwei große Themenkomplexe lassen sich im Werk von Patricia Waller unterscheiden: Die Kunst über Kunst, bzw. über die Erwartungshaltung der Betrachter und die Kunst über in der Kunst weitgehend als nicht "bildwürdig" betrachtete oder tabuisierte Themen, wie Prothesen, Krankheiten, Kalte Büffets, UFOs oder Computerspiele.

"Don’t kill your Idols" nennt Patricia Waller die in den 90er Jahren begonnene Serie, in der sie in einer Abwandlung der Appropriation Art berühmte Werke international bekannter Künstler "nachhäkelt". Anders als Rosemarie Trockel in ihren maschinell gefertigten Strickbildern, die das Thema des rapporthaften Allover in der Malerei thematisierten und zugleich ironisierten, legt Waller großen Wert auf die manuelle Fertigung der Arbeiten, durch die nicht nur die weiblich konnotierte Handarbeit deutlich hervortritt, sondern die zudem die Möglichkeit bietet, skulpturale Formen ins neue Medium zu transformieren. Entstehen zunächst in modellhaft verkleinertem Maßstab gegebene Übersetzungen von bekannten Arbeiten von Koons, Balkenhol, Gober und vielen anderen, so verzichtet die Künstlerin in ihren neuen Arbeiten auf den direkten Objektbezug. Ritterrüstungen aus Lurex und antike Torsi aus weiß flaumigem Angora, afrikanische Masken und eine ganze Wand abstrakter Bilder stellen jetzt die Frage "Was muss ich sehen, um Kunst darin zu erkennen?" Über Material und Technik werden Form und Inhalt neu thematisiert und dadurch die Rezeptionsgewohnheiten der Betrachter zugleich hinterfragt und entgrenzt.

Noch deutlicher wird die Strategie der Verunsicherung in den Werkserien, die sich mit tabuisierten Themen auseinandersetzen und zeigen, worüber man nicht spricht. Leukämie, Brustkrebs, HIV, TB, Andrax oder Hodenkrebs verändern und zerstören den menschlichen Körper. Mikroskopische Aufnahmen dieser Zellen hat Patricia Waller als Ausgangspunkt für ihre neue Arbeit "Deadly Diseases" gewählt. Auf runde Stickrahmen gespannt, teilweise durch Schlingstiche überarbeitet, hängen die zwölf Rahmen nun als Krankheitsbilder an der Wand. Das frappierende an dieser Arbeit ist nicht nur der Bildcharakter, den die medizinischen Aufnahmen durch die Form ihrer Präsentation gewinnen, sondern auch die sie tragende Ambivalenz zwischen kontrollierter Struktur und unkontrollierbarer Bedrohung, zwischen Schönheit und Schrecken. Einmal mehr erweist sich die Werkstrategie Patricia Wallers als Grenzgang, in dem die Harmlosigkeit, mit dem ihre Handarbeiten sich präsentieren, die Themen, die in ihnen behandelt werden umso krasser und zynischer erscheinen lassen.

Betrachtet man die Werke von Patricia Waller als Statements zur Frage nach dem Geschlecht in der Kunst, so ist die Antwort nicht schwer. Ihre Arbeiten sind leicht und bunt, ironisch und subversiv, liebäugeln mit Kitsch und Kunst und verweigern sich nachhaltig jeder Einordnung. "Die erste Reaktion der Leute", sagt Patricia Waller, "ist meistens ein Schmunzeln." Sie weiss dieses Schmunzeln zu deuten. Sie provoziert die Mischung aus Überraschung und Verunsicherung, die darin mitschwingt, um die Frage nach der Wahrnehmung von Kunst neu zu stellen. Lachen entgrenzt, öffnet einen Zugangsweg, um die Dinge anders zu sehen, Blokaden abzubauen. In der Rezeption der Arbeiten wird so verdeutlicht, was sie inhaltlich bestimmt: Humor – verstanden als Möglichkeit, die Zeichen permanent in Bewegung zu halten und auf diese Weise Verkrustungen im Zeichensystem Kunst zu sprengen.

Margrit Brehm